WM-Tagebuch, Tag 17: Die Krise des deutschen Fußballs

Gestern habe ich getwittert: „Die Hoffnung, die geringe TV-Quote der WM 2022 in Deutschland rege die Fifa zu Änderungen an, kann man angesichts der internationalen Zuschauerrekorde vergessen. Wem es aber massiv Kopfschmerzen bereiten sollte, ist DFB und DFL. Die Unlust am Fußball zeigt sich erstmals in Zahlen.“ Ich war selbst überrascht wie viel Verbreitung dieser Tweet fand. Daher will ich den dahinter liegenden Gedanken im heutigen Tagebuch-Eintrag ausführen, auch wenn das Thema nicht direkt mit dem WM-Geschehen zu tun hat. Doch auch die Spiele in Katar sollen nicht zu kurz kommen. Im zweiten Abschnitt widme ich mich Brasilien und in den kurzen Beobachtungen dem Spiel Japans gegen Kroatien.

Deutschland: Jetzt werden die Weichen für die Zukunft gestellt

Gestern flatterten zwei Meldungen über den Ticker, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Am Abend gab der DFB bekannt, dass Oliver Bierhoff nach fast zwei Jahrzehnten seinen Posten als Manager des Nationalteams räumen wird. Es ist ein Einschnitt: Bierhoff war lange Jahre zuständig für die Vermarktung der DFB-Elf, aber auch für die Organisation und Weiterentwicklung des deutschen Fußballs. Eine zweite, im deutschen Fußball nicht minder mächtige Figur könnte bald ebenfalls Geschichte sein. Der kicker meldete, die Klubs der Bundesliga seien derart unzufrieden mit DFL-Chefin Donata Hopfen, dass ihr nach nicht einmal einem Jahr der Rausschmiss droht. DFB und DFL: Zwei deutsche Verbände im Krisenmodus.

Um die Unzufriedenheit der DFL mit ihrer Präsidentin Hopfen zu erklären, muss ich etwas ausholen. Hopfen hat bei Bundesliga-Fans einen schweren Stand. In einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ wollte sie nicht ausschließen, den Super Cup künftig in Saudi-Arabien auszutragen. Auch gegenüber Playoffs zur Kür des Meisters zeigte sie sich aufgeschlossen. Das kam bei den traditionell konservativen Anhängern der Bundesliga ziemlich schlecht an.

Die Bundesliga-Funktionäre dürfte aber nicht nur die Ablehnung Hopfens durch die Fans antreiben. Sie vermissen Impulse durch die neue Chefin. Der kicker schreibt, die DFL-Zentrale habe einige wichtige Mitarbeiter verloren nach dem Abgang von Christian Seifert. Zudem stocke die Internationalisierung der Liga. Jüngst sorgte der neu ausgehandelte TV-Vertrag für die MENA-Region – Arabien und Nordafrika – für Diskussionen. Die kolportierten 7,5 Millionen Euro waren dem FC Bayern angeblich zu wenig, weshalb deren Vertreter Jan Christian Dressen gegen den Vertrag stimmte. Er wurde nur knapp mit vier zu drei Stimmen angenommen. Eine Kampfabstimmung ist durchaus bemerkenswert in der Welt der Sportverbände, die sonst auf Einigkeit pocht. Prompt kamen Diskussionen auf, der FC Bayern wolle die Auslandsvermarktung selbst in die Hand nehmen.

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Ob Hopfen DFL-Chefin bleiben darf, ist ungewiss. Doch auch ein potentieller Nachfolger würde ein Amt erben, das Sprengstoff bietet. Die Bundesliga stößt an die Grenze des Wachstums. National drohen der DFL sinkende Einnahmen durch die Vermarktung der Bundesliga. Die Sender, die aktuell die Rechte an der Bundesliga halten, werden nicht erneut einen Milliardenbetrag dafür ausgeben. Sky Deutschland steht zum Verkauf, nachdem das Wachstum des Senders kleiner ausfiel als von Konzernmutter Comcast gehofft. Dazn schreibt tiefrote Zahlen. Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass es beim „Netflix des Sports“ zu massiven Kürzungen kommen wird. Es erscheint zweifelhaft, dass in dieser Gemengelage eine Steigerung der Vermarktungserlöse möglich ist. Viel eher wird die DFL erstmals seit zwei Jahrzehnten mit einem Rückgang rechnen müssen.

Die Hoffnungen, stattdessen auf den ausländischen Markt zu expandieren, sehe ich als Fata Morgana. International hat die Bundesliga einen schweren Stand. Die englische Premier League greift massenweise Fans in Nordamerika ab, während sich La Liga im spanisch-sprechenden Teil der Welt ausbreitet. Für die Bundesliga gibt es nur wenige Marktlücken. International ist die Bundesliga ohnehin nur als „Farmer’s League“ bekannt. Sie sei einzig dazu da, Titel und Talente für den FC Bayern zu „farmen“.

Hier kommt wieder der DFB ins Spiel. Auch wenn die Bundesliga-Funktionäre mit breiter Brust betonen, die Erfolge der DFL hätten sie und nur sie allein erzielt: Das Wachstum der Bundesliga war immer auch eng gekoppelt an die Erfolge der Nationalmannschaft. Die WM 2006 brachte das Fußballinteresse in die wenigen Ecken der Gesellschaft, die noch nicht vom Virus Fußball befallen waren. 2014 verstärkte den Effekt und sorgte zugleich für Strahlkraft weit über die deutschen Grenzen hinaus. „Die Liga der Weltmeister“ lässt sich leichter vermarkten als „Die Liga der Nation, die zweimal in Folge in der Gruppenphase ausschied“. Jegliche Hoffnung, dass 2022 wieder eine Welle der Begeisterung durch das Land rollt, spülte Hansi Flicks Elf weg.

Stattdessen vertiefte die WM die Gräben zwischen Fans und Fußballgeschäft. Die Winter-WM in Katar brachte für viele treue Zuschauer das Fass zum Überlaufen. Die Gier der Fußball-Funktionäre konnten sich selbst verblendete Fans nicht mehr schönreden. Deutsche Fußball-Fanatiker reagieren traditionell verärgerter als englische, französische oder spanische Zuschauer, wenn es um das Thema Kommerz geht. Das zeigt sich in den Einschaltquoten dieser WM: Während die aktuelle WM selbst im europäischen Ausland größtenteils gute Einschaltquoten erzielt, sind hierzulande die Zuschauerzahlen eingebrochen.

Die Hoffnung, dass der deutsche WM-Boykott die Fifa in irgendeiner Art tangiert, kann man angesichts der internationalen Rekordzahlen dieser WM begraben. Kopfschmerzen dürften die geringen Quoten aber DFB und DFL bereiten. In Deutschland lässt sich eine große Ablehnung gegenüber dem Fußballgeschäft spüren, die nicht nur den DFB trifft. Kaum ein Fan lässt sich von der Frage elektrisieren, ob der FC Bayern seine zehnte oder dreizehnte Meisterschaft in Folge gewinnt. Nachdem die Bundesliga trotzdem Jahr um Jahr Rekordzahlen schrieb, drückt sich der verbreitete Unmut bei dieser WM erstmals auch in Zuschauerzahlen aus. Es erscheint nicht unmöglich, dass sich diese Unlust auch auf die Bundesliga erweitert. Heißt: weniger Stadionbesucher, weniger Pay-TV-Abonnenten, weniger Geld.

Schmeißt man da noch eine drohende Rezession in den Topf und damit einhergehend ein Rückgang der Werbe-Etats großer Firmen, entsteht ein explosives Gemisch. Explosiv, weil der Rückgang der Zuschauer ein dezidiert deutsches Problem ist. Für die Bundesliga droht ein Abwärtsstrudel: Weniger Einnahmen bedeuten weniger internationale Wettbewerbsfähigkeit, weniger internationale Wettbewerbsfähigkeit bedeutet weniger Stars, weniger Stars bedeuten weniger Einnahmen durch Vermarktung. Ein Teufelskreis.

Aus diesem Grund sind die Richtungsentscheidungen dieser Woche so wichtig. Die DFL muss sich überlegen, wie sie sich für eine schwierige nähere Zukunft aufstellt. Die Kritik der Fans trifft keineswegs nur den DFB. Eine langweilige Bundesliga mit einem Dauermeister Bayern München sowie massiver Clinch zwischen der organisierten Fanszene und dem Verband setzen dem Produkt Bundesliga zu. Einen Verband durch eine Phase des wirtschaftlichen Booms zu führen, ist leicht. Die richtigen Entscheidungen in einer schweren Phase treffen – das ist die hohe Kunst.

Die Richtungsentscheidung des DFB ist insofern wichtig, als dass der Verband die große Trumpfkarte des deutschen Fußballs in den Händen hält: die Heim-EM 2024. Ein erfolgreiches Turnier kann die Weichen stellen für einen Stimmungsumschwung in diesem Land. Dazu muss der Verband aber die richtigen Schlüsse ziehen. Das Land muss sich erst wieder anfreunden mit seiner Nationalmannschaft. Bierhoff musste da manchmal zu sehr als personifizierter Sündenbock herhalten. Doch klar ist: In seiner Amtszeit warf die DFB-Elf mehr und mehr Geld ab, verlor aber zugleich massiv an Strahlkraft. Zugleich gilt es, auch in der Jugendarbeit wieder zu Nationen wie Frankreich, England oder sogar Japan aufzuschließen. Denn ansonsten bleibt das Aus in der Gruppe keine zweimalige Ausnahme, sondern wird zur Regel. Und das wäre langfristig der Sargnagel für den deutschen Männerfußball.

Brasilien: Samba statt Schreibtisch

Ich muss gestehen, ich mag Béla Réthy. Man kann mir in dieser Hinsicht aber Voreingenommenheit vorwerfen, da ich während der WM für das ZDF schreibe und mit Réthy bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet habe. Ich möchte mir dennoch eine Formulierung borgen, die er gestern beim Spiel Brasilien gegen Südkorea gebraucht hat. Er sagte sinngemäß, Brasilien spiele wieder Samba- und keinen Schreibtischfußball.

Besser lässt sich der brasilianische Auftritt gegen Südkorea kaum zusammenfassen. Ein Tor war schöner als das andere. Wenn die Offensivreihe der Brasilianer erst einmal ihre Magie versprüht, entzaubert sie jeden Gegner. Südkorea war schlicht überfordert mit dem schnellen Kurzpass-Spiel der Brasilianer. Neymar? Gedankenschnell. Richarlison? Verspielt. Vinicius Junior? Eiskalt. Südkorea fand keinen Zugriff auf die Fabulous Four.

Brasilien möchte ich zum Anlass nehmen, um auf einen taktischen Trend dieser WM hinzuweisen. Ich hatte das Thema gestern schon am Beispiel Harry Kane angesprochen. Es geht um Überladungen des ballnahen Flügels. Viele Teams schaffen auf der Ballseite eine Überzahl, um mit direkten Kombinationen in den Halbraum zu gelangen. Der Gegner soll auf eine Seite gelockt werden. Dann kann man entweder mit Risiko die Überzahl ausgespielt werden. Oder aber man nutzt die Chance, das Spiel auf die andere Seite zu verlagern und den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen.

Genau das gelang Brasilien beim Führungstreffer. Sie bauten das Spiel auf der linken Seite auf. Stürmer Richarlison rückte zusammen mit den Achtern weit nach links, um hier diese Überzahl herzustellen. Brasilien bildet dabei bewusst mehrere Rauten, um dem Spieler am Ball möglichst viele diagonale Passmöglichkeiten zu bieten. So könnte er das Spiel beschleunigen. Südkorea muss extrem kompakt stehen, um diese diagonalen Passoptionen zu schließen. Das öffnet wiederum die gegenüberliegende Seite. Brasilien verlagerte das Spiel.

Tatsächlich spielt Brasilien diese Situation nicht einmal besonders gut aus. Die Verlagerung erfolgte zu langsam, sodass Südkorea durchschieben konnte. Aber Raphinha ließ auf rechts zwei Gegenspieler stehen, sodass sofort wieder Dynamik in die Situation kam. Da Südkorea etwas zu übereifrig nachgeschoben hatte, stand letztlich Vinicius am zweiten Pfosten frei.

Das weist auf die vielleicht größte Stärke der Brasiliener hin: Sie müssen ihre Angriffe gar nicht immer sauber ausspielen. Die individuelle Klasse der Offensivspieler überragt fast jeden Gegner bei diesem Turnier. Sie können auch aus wenig dynamischen Situationen Torchancen kreieren. So etwa vor dem 3:0, als Richarlison eine Bogenlampe auf seinem Kopf jonglierte, nur um wenige Pässe später die Kugel ins Tor zu schieben. Das war Samba-Fußball vom Feinsten. Ich halte weiter an meinem Weltmeister-Tipp fest, den ich bereits vor der WM abgegeben habe – und der lautet Brasilien.


Kurze Beobachtungen

  • Es sollte nicht sein, Japan! Gestern noch wünschte ich ihnen den Viertelfinal-Einzug. Aber ehrlich: Wer in einem Elfmeterschießen dermaßen schlechte Elfmeter schießt, scheidet am Ende verdient aus. Dabei war die Leistung in den 120 Minuten zuvor ansprechend. Japan verteidigte clever. Sie hielten Kroatien auf Distanz und verdammten den Gegner dazu, Flanken aus dem Halbfeld zu schlagen. Blöd, dass eine der insgesamt 35 kroatischen Flanken zum Ausgleichstreffer führte. Japan blieb vor dem Tor zu harmlos, um das Spiel in 90 oder 120 Minuten zu beenden. Damit müssen die Blue Samurai weiter auf einen Viertelfinal-Einzug bei einer WM warten. Und Deutschland muss mit der Gewissheit leben, gegen ein Team ausgeschieden zu sein, das nicht weiter kam als bis ins Achtelfinale.
  • Kroatien bleibt ein Phänomen: Seit der Europameisterschaft 2016 hat Kroatien in jedem Turnier die K.O.-Phase erreicht. Nur eins ihrer K.O.-Spiele endete nach neunzig Minuten: das Finale der WM 2018 gegen Frankreich. Ansonsten musste Kroatien stets nachsitzen. Ihre Bilanz: vier Siege, zwei Niederlagen. Gegen Japan entschied Kroatien das dritte Elfmeterschießen in vier Jahren für sich. Ich kann mich indes ganz gut an das letzte K.O.-Rundenspiel erinnern, das Kroatien nach regulärer Spielzeit gewinnen konnte. Es fand 1998 statt. Kroatien schlug Deutschland mit 3:0 – und meine Eltern schickten mich nach einer Halbzeit ins Bett. Lang, lang ist’s her.
  • Da soll noch einmal jemand behaupten, Twitter hätte keinen Nutzen! Frankreichs Jules Koundé trug beim Spiel gegen Polen eine goldene Halskette. Jeder Amateur-Kicker weiß, dass Schmuck wie dieser auf dem Fußballplatz eigentlich verboten ist. Twitter-User schickten daraufhin Tweets an Jakub Kwiatkowski, seines Zeichens Team-Manager der polnischen Nationalmannschaft. Er las während des Spiels mit und antwortete: „Ich habe es an die Schiedsrichter weitergeleitet.“ Kurze Zeit später wies der Linienrechter Koundé an, die Halskette abzunehmen. Sein Trainer Didier Deschamps zeigte sich wenig begeistert von dieser Episode. Er kritisierte seinen Profi mit den Worten: „Man trägt beim Spiel schließlich auch keine Sonnenbrille.“
  • Nach so viel Rückblick möchte ich noch einmal kurz vorausblicken. Heute stehen zwei Achtelfinals an, bei denen Favorit und Außenseiter nicht ganz eindeutig verteilt sind. Auf dem Papier geht Spanien natürlich als Favorit ins Duell mit Marokko. Doch die Marokkaner gehen mit der breiten Brust eines Gruppensiegers in das Duell. Sie dürften tief verteidigen, Spaniens Ballbesitzwerte auf 70% oder höher schnellen. Doch gelingt es Spanien auch, das gegnerische Konstrukt zu knacken? Hier sehe ich durchaus Potential für eine Überraschung. Portugal gegen die Schweiz ist für mich hingegen ein 50:50-Spiel. Ich schätze die kompakte, aber dennoch aggressive Spielweise der Schweizer. Ob sie damit die Portugiesen auf dem falschen Fuß erwischen können? Ich bin gespannt!

Leseempfehlungen

New York Times: Can You Tell a Country by Its Corner Kicks?

Guardian: The heart of the World Cup: Doha Metro brings fans together


Das Titelbild stammt von Marco Verch, Lizenz: CC-BY 2.0.

14 thoughts on “WM-Tagebuch, Tag 17: Die Krise des deutschen Fußballs

  1. Ein Teil der Spiele ist scheinbar nur auf Magenta zu sehen. Das dürfte eine zusätzliche Hürde darstellen; Wer eh eger lauwarm der WN gegenüber ist, besorgt sich nicht auch noch einen Streamingservice.

    1. Ich kann öffentlich keine Zahlen nennen, ohne Ärger zu bekommen. Aber nach allem, was ich unter der Hand gehört habe, sind die Zahlen von Magenta eher zu vernachlässigen. Die machen den WM-Kohl auch nicht fett.

  2. Thema DFL und Vermarktung, da stellt sich die Frage was will man denn überhaupt (außer mehr Geld natürlich)? Weltweite Vermarktung oder Konzentration auf einzelne Regionen? Was hat man zu bieten außerhalb des „Leuchtturms“ Bayern? Fernsehgelder: da beißt sich die Katze in den Schwanz denn mehr Gelder über Pay-TV bei Kunden die bei jeder Preiserhöhung extremst sensibel reagieren (um es mal vorsichtig auszudrücken). Dass SKY Kunden verliert: hängt teilweise auch daran dass dort keine CL mehr gezeigt wird, dass die Bundesliga nicht mehr komplett dort läuft. Werbeeinnahmen stagnieren, kein Wunder bei der Außendarstellung und man liest ja mehr negative Nachrichten als positive. Da ist einiges aufzuholen und ich weiß gar nicht wo man da anfangen will.

  3. Ein erster Gedanke: Bierhoff als Nachfolger von Hopfen? Könnte theoretisch Sinn machen, wenn sich „aus der Wirtschaft“ kein superstarker Netzwerker findet, der gleich mal nen Schwung Sponsoren mitbringt. Vernetzt ist Bierhoff und er kennt die Gemengelage einigermaßen. Das er quasi zum Gegenspieler überläuft ist dann natürlich auch pikant.

    Persönlich hoffe ich durchaus, dass die Bundesliga weiter leidet und abbaut. Die Überhöhung auf allen Ebenen, finanziell wie gesellschaftlich, ist auf einem absurden Maße und es würde allen mal ganz gut tun, wieder geerdet zu werden. Es wird wohl nicht passieren, dass man vielleicht mal anfängt, den Fußball nicht mehr als Ersatzreligion und die Fußballer als perfekte Vorbilder für alle Lebenslagen zu sehen. Aber wenn das Geld mal etwas weniger locker sitzt, wird hier und da vielleicht auch wieder mehr Wert auf stetiges Wachstum gesetzt und nicht auf Extremsteigerungen. Gerade der BVB mit seiner Masche, relativ oft auch einfach teuer einzukaufen und auf extreme Wertsteigerungen zu hoffen – und dabei jegliche sportliche Aufbauarbeit ruiniert, ist da ein schönes schlechtes Beispiel.

    Zu Kroatien denke ich mir, dass die im Grunde wie (ganz) früher Deutschland agieren: Ein Team, dass man besiegen muss, um Champion zu werden. Und wo ein Sieg immer mit viel Arbeit zu tun hat. Gute, disziplinierte, harte Defensivarbeit, dazu auch immer mal punktuell giftig und gefährlich vorne.

    1. das war der erste Gedanke den ich auch hatte, Bierhoff zur DFL, aber: will man das wirklich denjenigen einen solchen Posten zu geben der in der Öffentlichkeit als Buhmann und Synonym für den „Abstieg“ der N11 seit 2014 gesehen wird? Wäre spannend und heikel zugleich.

  4. Tobi, ich möchte mich einfach mal bedanken für deine großartigen Analysen und den immer sachlichen und fairen Ton. Das Ganze in einer wunderbar verständlichen Art und Weise. Sag mal, schläft du aktuell überhaupt?
    Mich macht diese hysterische Diskussion komplett wahnsinnig!
    Oft ist ja die einfachste Erklärung auch die Beste: Ich packe mal sehr viele Konjunktive zusammen. Bei jedem Einzelnen, würden wir heute Abend gegen Marokko spielen … oder hätten gestern Abend das 11-Schiessen gegen Kroatien gewonnen😉
    – Musiala trifft, nachdem er fünf Gegner im Strafraum ausgedribbelt hat, zum 2:0 gegen Japan. Die Fachwelt streitet sich darüber, ob er oder Bellingham der Spieler des Turniers wird. Flick wird ausdrücklich für die Weitsicht gelobt Musiala zu Deutschland gelotst zu haben. Dann trifft noch zufällig Moukoko und wir haben ein herrlich sympathisches junges integratives Team mit wunderbaren Gesichtern und Geschichten!
    – Sané trift bei 90min+6 gegen Spanien
    – Spaniens Fliegenfänger im Tor verhindert das 1:1 der Japaner
    – der VAR annuliert das 2:1 der Japaner gegen Spanien
    – Olmo trifft in der 89. zum 2:2 gegen Japan
    …… etc. etc.
    Ich weiß, ich weiß ….. immer Pech ist Unvermögen, aber das ist doch alles wahrscheinlicher, als jetzt die grundsätzlichen Strukuren ins Feld zu führen. das muss man auch tun, klar. Aber als ob es am falschen Quartier (das Bierhoff ausgewählt hat), am fehlenden 9er, (den es nicht gibt weil die Ausbildung falsch ist,) oder am fehlenden Willen (weil es alles verwöhnte Bubis sind), oder weil Bierhoff -von Marketingspezialisten getrieben- das Konzept der „Mannschaft“ entwickelt hat.
    Wie bilde ich denn bittesehr gezielt eine Weltklassemann für hinten links aus??? Oder einen Innenverteidiger der im entscheidenden Moment gegen Japan den Gegenspieler stoppt, oder das Abseitstellen nicht verpennt???
    Das Ausbildungssystem des DFB kenne ich sehr gut. Erzähl mir doch bitte keiner, dass das in Frankreich, England, der Schweiz oder gar Brasilien besser gemacht wird!! Das System aus über 300 Stützpunken, den NLZ etc. ist perfekt. Da rutscht keine Weltklasseverteidiger und kein Mbappé durch!!
    Schöne Grüße und eine schöne Rest WM!!

  5. Bei den Namen die jetzt im Gespräch sind (Sammer, Bobic): wo soll denn da der Input herkommen um sich neu aufzustellen, neue Ideen und (möglicherweise) Denkweisen zu implementieren. Das fühlt sich eher wie Stühlerücken an. Wobei ich jetzt keine Namen parat hätte die ich gegenhalten könnte, dafür bin ich da nicht tief genug drin. Aber die beiden genannten klingen jetzt nicht euphorisierend.

    1. Wenn da Watzke federführend dahintersteht, würde ich auch keine tollen Impulse erwarten. Der sucht immer noch nach Ersatz für seinen Geliebten Klopp und mag deswegen die erdigen, fußballstallgeruch-nahen Kämpfer und Blender.

        1. Ich hoffe aus Eigeninteresse doch inständig, dass der jetzt beim ÖFB einmal ordentlich umrührt, nachdem ihm dort so großzügige Befugnisse eingeräumt werden.

  6. weil hier mit FRA, GB, BRA verglichen wird – kann man denn einige tatsächliche Unterschiede zum DFB in Sachen Förderung, Spielerentw., Liga festmachen?

    Und ist in Italien alles plötzlich falsch, weil sie jetzt gar nicht dabei sind?
    (Bei der EM waren sie noch everybody´s Darling.)

    Spanien, weil sie kein Tor schießen?
    (Obwohl dieses Spanien-Problem älter ist, scheint man dort im Verband das irgendwie nicht wesentlich verändert zu haben.)

    Und wie aussagekräftig ist überhaupt eine WM???

    (ich stelle die Frage auch als Holland-Fan, siehe 90er Jahre)

    Nach welchen Kriterien wird Erfolg eines Verbandes gemessen/sollte man ihn bemessen?

    1. Das ist ein sehr komplexes Thema, das ich kaum in einem Beitrag beantworten kann. Immerhin habe ich den Unterschieden zwischen dem französischen und deutschen Nachwuchssystem rund 30 Seiten in meinem neuesten Buch gewidmet. Es gibt also durchaus Unterschiede.

      Fakt ist: Deutschland ist nun bei drei Turnieren hintereinander früh gescheitert. Für U17- und U20-Weltmeisterschaften qualifiziert sich der deutsche Nachwuchs nicht einmal mehr. Einzig die U21 feiert Erfolge – eine Altersklasse, die in Frankreich oder England gar keine Rolle spielt, weil die großen Talente in dem Alter eh schon in die A-Elf integriert sind. Wir haben seit bald zwanzig Jahren keinen Stürmer oder Außenverteidiger von internationalem Format mehr ausgebildet. Selbst Miro Klose war eigentlich kein Kind des Systems, sondern ein Quereinsteiger, der nie den Nachwuchs einer Profimannschaft von innen gesehen hat. Also ja, da kann man schon feststellen, dass mehr falschläuft als einfach nur „Pech bei einem Turnier“. Die Basis, aus der Engländer, Franzosen und Brasilianer schöpfen können, ist wesentlich breiter als in Deutschland – und das, obwohl nirgendwo auf der Welt mehr Menschen Mitglieder eines Fußballvereins sind. Irgendwas läuft schief – jenseits vom Misserfolg bei dieser WM.

      1. Tausend Dank und entschuldige meine Masse an Fragen (die du aber auf elegante Weise im Kern alle beantwortet hast.)

        Dein neues Buch ist noch nicht gekauft. Habe wegen Beschäftigung mit Ukrainekrieg die Fussballtaktik dieses Jahr thematisch erst mal zurückgestellt gehabt.
        Deshalb vielleicht auch von mir hier diese eruptive Fragerei.

  7. Off Topic: Niederlande – Argentinien, das wird für mich das Duell der Experten: Bastian Schweinsteiger – Tobias Escher. Beide haben sich klar festgelegt. 🙂

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