WM-Tagebuch, Tag 14: Mein Ranking aller Achtelfinalisten

Ab hier trennt sich die Spreu vom Weizen! Die deutsche Mannschaft ist ausgeschieden. Nach den Erfahrungen der Europameisterschaft 2022 bedeutet dies, dass sich die Leserschaft des Tagebuchs ab diesem Punkt halbiert. Dieser Effekt dürfte sich angesichts des umstrittenen Turniers in Katar noch weiter verschärfen. Ich verstehe jeden, dem nach dem deutschen Aus auch der letzte Grund abhandengekommen ist, dieses Turnier zu verfolgen.

Für mich beginnt die Weltmeisterschaft jetzt erst so richtig. Die Gruppenphase war das Aufwärmprogramm. Ab heute gilt in jedem Spiel das Motto: Tod oder Gladiolen! Die magischen Momente einer Weltmeisterschaft entstehen erst ab dem Achtelfinale.

Das heutige Tagebuch widmet sich daher nur einer einzigen Frage: Wie stark sind all die Teams einzuschätzen, die noch dabei sind? Ich möchte sämtliche Achtelfinal-Teilnehmer auf einer Skala einordnen. Ich wähle dafür eine Skala von S-D. Diese Skala ist bekannt aus den beliebten „tier rankings“ auf Twitch und YouTube. Die Bewertung stammt aus dem japanischen Notensystem, das von A-D geht, für besonders gute Schüler aber ein „S“ wie „Super“ vorsieht.

S-Tier: Frankreich & Brasilien

Weltmeister Frankreich geht für mich als Favorit in die K.O.-Runde. Nach den ersten beiden Spieltagen kursierte eine Grafik, welche die offensiven Statistiken aller WM-Teilnehmer verglich. Frankreich lag so weit vorne, dass der Urheber schrieb: 1. Frankreich, 2.-32. der Rest. Die französische Angriffsreihe harmoniert blendend. Kyllian Mbappe wird perfekt eingebunden. Kein Spieler gab bei dieser WM mehr Torschüsse ab. Zugleich ist Frankreich mit Ousmane Dembele auf rechts noch ein Stück weniger ausrechenbar. Für die Balance sorgt das verjüngte Mittelfeld. Einzig in der Defensive bleibt das Fragezeichen, ob sie auch Prüfungen gegen stärkste Gegner überstehen.

Brasilien thront aus meiner Sicht ebenfalls über dem Rest des Teilnehmerfelds. Wer sich Samba-Fußball offensivster Ausprägung erhofft hatte, wird enttäuscht. Die Brasilianer wollen den Titel. Dafür spielen sie ähnlich pragmatisch wie Deutschland bei der WM 2014. Ihre Abwehr war die beste der Vorrunde, was auch am perfekt ausbalancierten Spielsystem liegt. Casemiro und Paqueta bilden die stärkste Doppelsechs des Turniers. Brasilien beherrscht zudem die Kunst, selbst aus eigentlich ungefährlichen Situationen Torgefahr zu kreieren. Dafür sorgen die Laufwege von Vinicius und Richarlison oder die Einzelaktionen von Raphinha und Neymar. Sollte Letzterer rechtzeitig fit werden, traue ich Brasilien den ganz großen Wurf zu.

A-Tier: England, Spanien, Argentinien

Die Mannschaft, die dem Top-Duo am nähsten kam, war aus meiner Sicht England. Sie brilliert offensiv nicht. Beim 6:2 gegen den Iran profitierte sie von einer brutal guten Chancenverwertung. Sie muss aber auch gar nicht viele Tore schießen. Trainer Gareth Southgate hat die Defensive perfektioniert. Kaum ein anderes Team lässt weniger Lücken. Hinzu kommt das unbändige Selbstbewusstsein, das Southgate dem Team über die Jahre eingeimpft hat, und die taktische Flexibilität, im Zweifel auf eine Dreierkette umstellen zu können. Abzüge in der B-Note gibt es für das USA-Spiel. Hier plagte das Team fehlende Durchschlagskraft. Das kann in engen K.O.-Spielen durchaus zum Problem werden. Anders als Frankreich oder Brasilien traue ich England nicht unbedingt zu, einen Rückstand zu drehen.

Spanien hat mit einem durchaus ähnlichen Problem zu kämpfen. Auch sie stehen äußerst stabil, wenn auch ihr taktisches Grundgerüst ein gänzlich anderes ist als das der Engländer. Sie ziehen ihre Dominanz aus einem Ballbesitzspiel, das ausgereifter ist als das sämtlicher anderer WM-Teilnehmer. Bereits gegen Deutschland hatten sie Probleme, dieses Ballbesitzspiel ins letzte Drittel zu tragen. Auch gegen Japan schoben sie sich den Ball vor der japanischen Mittelfeldlinie hin und her, ohne gefährlich vor das Tor zu gelangen. Man muss aber kein Verschwörungstheoretiker sein, um hinter dem lauwarmen Japan-Spiel Kalkül zu sehen, um in das leichtere Bracket des Turniers zu rutschen. Insofern gehört Spanien für mich in das zweitstärkste Segmet.

Argentinien hat einen Pluspunkt im Vergleich zu allen anderen bisher genannten Nationen: Sie haben bereits bewiesen, dass sie Drucksituationen nicht nur überstehen können, sondern dass sie sogar aufblühen, wenn es um alles geht. Im Polen-Spiel steigerten sie sich im Vergleich zu den ersten beiden Partien. Besonders das Gegenpressing der Argentinier imponierte. Ob es auch gegen die besseren Nationen dieses Turniers funktioniert? Und wird Messi überirdische Leistungen zeigen, um dem argentinischen Team den bisher fehlenden X-Faktor zu bescheren? Bislang stufe ich sie unter dem Eindruck des nervösen Mexiko-Spiels im zweithöchsten Segment ein. Aber eine argentinische Weltmeisterschaft würde mich nicht überraschen.

B-Tier: Portugal, Kroatien, Schweiz, USA, Japan

Bei Portugal habe ich lange mit mir gerungen. Während der vergangenen Europameisterschaft habe ich Fernando Santos stark kritisiert. Bei dieser Weltmeisterschaft fehlt mir die defensive Seriosität, die ein Titelkandidat eigentlich benötigt. Auf der Haben-Seite steht bei Portugal ein deutlich verbessertes Ballbesitzspiel, auch dank einem überragenden Bruno Fernandes. Cristiano Ronaldo entdeckt auf seine alten Tage Mannschaftsdienlichkeit – außer natürlich, wenn es um WM-Rekorde geht, dann muss er unbedingt im bedeutungslosen Spiel gegen Südkorea auflaufen. Ich weiß noch nicht, ob die offensive Klasse der Akteure oder die defensiven Schwächen auf den Außen in der K.O.-Phase überwiegen werden. Ein Halbfinal-Einzug würde mich in ihrer Turnierhälfte aber nicht schockieren.

Nicht weniger Fragezeichen hinterlässt bei mir Kroatien. Ja, es ist auch bei dieser Weltmeisterschaft wieder ein Ding der Unmöglichkeit, dem kroatischen Mittelfeld den Ball abzunehmen. Andrej Kramaric bringt eine frische Note in das Angriffsspiel. Und doch hatten sie in den Gruppenspielen viel Glück, nicht mehr Tore kassiert zu haben. Es fehlt wie bei Portugal die defensive Seriosität. Andererseits: Luka Modric hat sein Team schon 2018 gegen alle Widerstände ins Finale geführt. Kroatien ist ein undankbarer Gegner in der K.O.-Runde: Es ist sehr leicht, nicht gegen sie zu verlieren, allerdings auch sauschwer, gegen sie zu gewinnen.

Wäre dies ein englischer Blog, würde ich die Schweiz als „dark horse“ bezeichnen. Sie haben bereits bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr überrascht, als sie Weltmeister Frankreich aus dem Turnier warfen und gegen Spanien erst im Elfmeterschießen ausschieden. Sie machen dort weiter, wo sie vor 18 Monaten aufgehört haben: Ihr 4-2-3-1-Pressing ist in der Höhe variabel. Sie bleiben sowohl bei einem hohen Pressing als auch im tiefen Block kompakt. Ihre Offensive ist kreativer als die vieler anderer Teilnehmer, was sich in den zahlreichen Chip-Bällen zeigt, die Embolo erhält. Hinzu kommen starke Standards sowie der unbändige Wille, auch nach einem Rückstand nicht aufzugeben. Das Spiel gegen Brasilien unterstrich die Schweizer Defensivstärke, das Spiel gegen Serbien ihre Resilienz. Ich werde die Schweiz nicht unterschätzen, erst Recht nicht gegen Portugal. In der Nations League gab es in diesem Jahr zwar eine 0:4-Klatsche, das Rückspiel gewannen sie jedoch 1:0.

Die Überraschung im B-Tier stellen sicherlich die USA dar. Kein Team dieser Weltmeisterschaft hat mich derart positiv beeindruckt im Vergleich zu dem, was ich vor dem Turnier erwartet hatte. Tyler Adams befindet sich in der Form seines Lebens. Im Spiel gegen den Ball räumt er alles ab, mit dem Ball spielt er kluge Verlagerungen. Auch Weston McKennie rattert wie eine Dampflok über den Platz. Eine gute zentrale Achse ist ein guter Anfang für eine WM-Überraschung. Gegen England bewies das Team zudem, dass Gregg Berhalter kein rein offensiv denkender Trainer ist. Er kann seine Mannschaft auch pragmatisch einstellen. Für den großen Wurf dürfte den Amerikanern ein Stürmer von internationalem Format fehlen.

Letzterer Satz ließe sich eins zu eins auf Japan übertragen. Ihnen ist es in der Gruppe gelungen, die Schwächen im Angriff zu kaschieren. Gegen Deutschland und Spanien drehten sie nach der Pause auf und filettierten die zu weit aufgerückten Gegner. Diesen Gefallen wird ihnen in der K.O.-Phase niemand mehr tun. Bereits Achtelfinal-Gegner Kroatien wird wesentlich defensiver auftreten als die beiden Ballbesitz-Nationen, die Japan bezwingen konnte. Japan kann auf die starke Defensive hoffen. Sowohl das hohe Pressing als auch die tiefe Verteidigung vollführen sie mit höchster taktischer Disziplin. Vielleicht ist Kroatien nicht der schlechteste Gegner. Sie haben schon zwei Gegner mit einem verspielten Mittelfeld geschlagen. Warum nicht auch den dritten?

C-Tier: Niederlande, Senegal, Marokko, Südkorea

Die wohl auf dem Papier größte Überraschung: Die Niederlande sehe ich nur im zweituntersten Segment. Die nackten Zahlen geben mir Rückhalt. Sie wurden in die leichteste Gruppe dieser Weltmeisterschaft gelost. Dennoch kamen sie gerade einmal auf ein Expected-Goals-Verhältnis von 2,4 zu 2,7. Einzig Cody Gakpos Überperformance – aus vier Schüssen machte er drei Tore – verhinderte eine niederländische Blamage. Sollte Gakpo vor dem WM-Achtelfinale nicht wieder Zielwasser trinken, droht den Niederländern ein frühes Aus. Ihre mannorientierte Defensive war in der Gruppenphase überraschend anfällig. Mir fehlt die Phantasie, wie die Niederländer in einem möglichen Viertel- oder Halbfinale gegen Argentinien oder Brasilien bestehen wollen.

Dem niederländischen Gruppengegner Senegal bringe ich ähnliche Skepsis gegenüber. Ihre Offensive produzierte noch mehr Chancen als die niederländische. Ismaila Sarr empfiehlt sich als Außenstürmer für höhere Aufgaben, während Kalidou Koulibaly gewohnt starke Leistungen zeigt. Doch systematisch sind die Senegalesen anfällig im Mittelfeld. Daran ändert auch Idrissa Gueyes übermäßig aktive Rolle im Pressing wenig. Einzig ihr Tempo könnte ein Plus sein im weiteren Turnierverlauf, wenn sie aus einer abwartenden Haltung kontern dürfen.

Marokko ist die Nation, der ich mit meiner Einschätzung wahrscheinlich am meisten Unrecht tue. Ich gestehe: Ich habe von keinem Achtelfinalisten weniger Minuten gesehen. Das Gesehene haute mich nicht vom Hocker. Hakim Ziyech ist in allen Spielphasen präsent, zieht aber das Spiel etwas zu stark an sich für den Output, den er kreiert. Die Außenverteidiger wären absolute Waffen, werden aber bisher kaum offensiv in Szene gesetzt. Gegen Kanada gab Marokko nach der frühen 2:0-Führung keinen einzigen Schuss mehr ab. Gegen Kroatien und Belgien haben die Marokkaner bewiesen, dass sie einen zu verspielten Gegner zur Wirkungslosigkeit verdammen können. Vielleicht gelingt ihnen das auch gegen Spanien.

In meinem Kopf hatte ich den Text zu Uruguay bereits geschrieben. Dann erzielte Südkorea doch noch den Siegtreffer gegen Portugal. Hwang vollendete einen schönen Schnellangriff, bei dem Gruppensieger Portugal aber nicht die letzte Gegenwehr zeigte. Südkoreas 4-1-4-1 ist durchaus geeignet, Brasilien zu 90% Ballbesitz und zur Weißglut zu treiben. Die Offensive hingegen verbreitete bisher weder Angst noch Schrecken. Die Dreierreihe um Superstar Heung-Min Son wechselt ständig die Positionen, ohne dass diese Rochaden irgendwie im Spielaufbau genutzt werden. Stattdessen flanken die Südkoreaner, wenn sie nicht weiterwissen. Nur Mexiko schlug im Turnierverlauf mehr hohe Hereingaben. Gegen Ghana taten sie das 46-mal, verloren aber trotzdem 2:3. Ich gebe Südkorea höchstens eine kleine Außenseiter-Chance auf das Viertelfinale.

D-Tier: Polen & Australien

Zu Polen muss ich keine Worte mehr verlieren. Noch immer kriege ich weniger nette Nachrichten von unseren polnischen Nachbarn. Ich nehme es ihnen nicht übel. Polen ist eins meiner liebsten Reiseziele, und angesichts der deutschen Geschichte kann ich die anti-deutsche Stimmung in Polen nachvollziehen. Es ändert aber nichts daran, dass Polen bei dieser WM grausigen Fußball spielt. Spätestens Argentinien hat aufgedeckt, dass das polnische 6-3-1-Konstrukt nicht halb so stabil steht, wie die polnische Abwehr glauben mag. Alles andere als ein hoher Sieg für Frankreich wäre für mich die größte Sensation dieser K.O.-Runde.

Eine Sensation benötigt auch Australien. Sie sind der Achtelfinal-Teilnehmer mit dem schlechtesten Expected-Goals-Torverhältnis. Bei der Passgenauigkeit (73,2%) unterbot sie nur der Iran. Das ist der australische Weg: Defensiv verteidigen sie in einem 4-2-3-1-Mittelfeldpressing, offensiv hoffen auf Konter. Da der Ü30-Offensive das Tempo fehlt, können sie gegen Argentinien nur auf Unachtsamkeiten des Gegners hoffen. Angesichts der argentinischen Niederlage gegen Saudi-Arabien werden sie auch das Australien-Spiel konzentriert angehen. Dann hat Australien eigentlich keine Chance.


Kurze Beobachtungen

  • Deutschland und die Weltmeisterschaft in Katar, das passt einfach nicht. Nach der deutschen Nationalmannschaft dürfte auch Schiedsrichter Daniel Siebert bald die Heimreise antreten. Das Spiel zwischen Uruguay und Ghana entglitt dem Unparteiischen zeitweise arg, was grundsätzlich kein Problem wäre angesichts der Bedeutung der Partie und der uruguayischen Angewohnheit, jeden Pfiff anzuzweifeln. Problematischer war ein ausbleibender Elfmeter-Pfiff für Uruguay. Siebert ahndete das recht klare Foul von Daniel Amartey nicht einmal, als er die Bilder in der Video-Area prüfte. Man kann anzweifeln, ob der VAR Siebert hätte rausschicken müssen. Spätestens nach Ansicht der Bilder hätte er den Elfmeter geben müssen. Am Ende fehlte genau dieses Elfmetertor Uruguay zum Weiterkommen, was nach dem Spiel zu einer Rudelbildung und einer Tätlichkeit gegen Assistent Rafael Foltyn führte. Kein leichtes Spiel, aber: Ein Schiedsrichter auf höchstem Niveau hätte das Spiel besser moderiert.
  • Ich finde es großartig, dass sich in den Kommentaren des Blogs so langsam Diskussionen entwickeln! Bisher kam ich leider noch nicht dazu, auf alle Kommentare zu antworten. Aber ich werde mir Mühe geben, das in den kommenden Tagen nachzuholen. Der aktuelle Beitrag bietet genug Diskussionsstoff. Welche Teams schätzt ihr anders ein? Welche Wahrnehmungslücken offenbare ich? Immer gerne her mit euren Meinungen!

Leseempfehlungen

The Athletic: Germany’s World Cup failure: ‘It’s not just bad luck, it’s inability’

n-tv: DFB-Männer haben auch gegen DFB-Frauen das Nachsehen


Das Titelbild zeigt Kylian Mbappé und stammt von Football.ua, Lizenz: CC BY-SA 3.0.

14 thoughts on “WM-Tagebuch, Tag 14: Mein Ranking aller Achtelfinalisten

  1. Ich finde es interessant, dass dieses Mal doch mehrere Teams weitergekommen sind, von denen man das nicht erwartet hätte. Abgesehen von der WM 2018 wo für mich nur Deutschland überraschend ausgeschieden ist, passiert das gerade bei Weltmeisterschaften gefühlt häufiger als bei Europameisterschaften.
    Liegt das daran, dass man weniger gegeneinander spielt und die Kontinentalverbände eher „unter sich“ bleiben? Liegt es an der hohen Varianz bei nur drei Spielen gegeneinander, wo eher einzelne Fehler entscheiden als die Gesamtqualität einer Mannschaft?

    1. also zumindest seit den letzten beiden ems liegt Grund auf der Hand. wenn 4 von 6 Dritte weiterkommen ist es halt sehr schwer überhaupt auszuscheiden

  2. Villeicht das einzige positive dieser WM: Wenn ich nicht irre sind erstmal alle 6 Kontinente in denen Fußball gespielt wird, in der 2. Runde vertreten. Eine echte WELTmneisterschaft und nicht einfach eine verkappe EM mit zwei Teams aus Südamerika.

    In dieser Sicht stach zuletzt 2002 hervor, als Mannschaften von drei Kontinenten im Halbfinale standen. Mal sehen ob das wieder so kommt (4 werdens nach deiner Einschätzung wohl kaum)

  3. Erstmal danke für deine täglichen Einträge! Ich habe jeden Vormittag Freude damit den vergangenen WM-Tag noch einmal Revue passieren zu lassen und auch wenn ich das vor dem Turnier kaum für möglich gehalten hätte: Ich habe richtig, richtig Bock auf diese KO-Phase. Zugegebenermaßen wirkt sich das Deutsche Ausscheiden aber auch deutlich positiver auf meinen Österreichischen Enthusiasmus aus, als das vermutlich in Deutschland der Fall ist. Aber genug der Schadenfreude.

    Frankreich kann (und wird) sich in meinen Augen fast nur selbst schlagen. Die fußballerische Klasse kann ich dieser Mannschaft nicht absprechen. Dennoch würde es mich nicht völlig überraschen, wenn sie mit einer lustlosen Leistung, einer „wir werden das schon gewinnen“-Mentalität und etwas Pech gegen Polen ausscheiden würden. Auch wenn ich Polen nicht mit der Schweiz 2021 vergleichen möchte. Im möglichen Duell mit England kann alles passieren.

    Die Platzierung der Niederländer überrascht mich dann doch etwas. Ich rechne auch nicht damit, dass es für die Oranje weiter als bis ins Viertelfinale geht und sie hatten wirklich eine sehr machbare Gruppe, aber den direkten Konkurrenten USA über sie zu stellen würde ja implizieren, dass die USA leichter Favorit wäre und das halte ich dann doch für etwas übertrieben. Das soll natürlich nicht heißen, dass ich es nicht für absolut möglich halte, dass die Amerikaner das Duell für sich entscheiden.

    Ich bin gespannt auf die Achtelfinal-Partien! Ich würde sagen, dass es in jeder der Partien (mit leichtem unsicheren Blick in Richtung Achtelfinal-Auftakt) einen relativ klaren Favoriten gibt. Und dennoch rechne ich fest damit, dass nicht in jedem dieser Spiele der Favorit die Oberhand behalten wird. So funktioniert Fußball sehr oft einfach nicht. Meine Tipps fürs Viertelfinale: Niederlande-Argentinien, Frankreich-England, Japan-Brasilien, Marokko-Portugal. Ich freu mich drauf!

  4. Für mich ist Spanien in gewisser Weise komplett die Wundertüte, die können so gut spielen und wie sie im Spiel gegen Deutschland ,trotz meiner Meinung nach sehr gute hohen Pressing von Deutschland, nie den Ball verloren haben, hat mich sehr beeindruckt. Dafür fehlen ihnen vorne gerne mal die Zähne und komplett überzeugt auf der Linie, hat mich Unai Simon auch noch nicht. Kann mir bei denen echt einen WM-Sieg vorstellen oder das sie gegen Marokko (bin mir nicht sicher, ob sie gegen die spielen) vielleicht rausfliegen.

  5. Du willst Diskussion? Du kriegst Diskussion. Also, Hot Take: Tobi ist der beste Fußballexperte der Welt (aber ich mag auch Didi Hamann). Aber wer seinen Job bei der WM besonders gut macht: Chris Kramer. Ist echt super, einen Aktiven dabei zu haben, der alle kennt und genau weiß, wie heute gespielt wird.

    1. Puh, ich stimme ja sofort zu, dass Tobias zu den besten Experten gehört, aber Didi Hamann? Echt jetzt? Dem kann ich keinesfalls zustimmen. – Dafür stimme ich wieder zu, dass Chris Kramer einen tollen Job macht. Ebenso stark wäre Almuth Schult. wenn die ARD ihr mehr Raum für ausführliche Antworten geben würde. Aber leider werden immer zuerst Khedira und Hitzlsperger „drangenommen“, wenn Jessy Wellmer eine Frage stellt. So kommt Schult gar nicht dazu, ihr Fachwissen sinnvoll einzusetzen. Dabei hat man doch 2021 gesehen, wie gut Schult als Expertin sein kann, wenn man ihr Raum gibt …

  6. Auch wenn die N11 raus liest, lese ich hier gerne mit. Direkt schauen mag ich keine der Spiele, aber meinen Boykott habe ich zum letzten Deutschlandspiel mal ausgesetzt und bin dafür groß unterhalten worden.

    Und ich lese zu gerne einfach tiefgehendere Analysen zum Fußball als „die müssen mehr laufen/kämpfen/intrinsische Motivation“, die man ansonsten so erschreckend oft lesen muss. Also immer weiter damit. 🙂

    Die aktuelle Mode der Turniermannschaften scheint zu sein, sehr defensiven Fußball zu spielen und vorne auf die individuelle Klasse/Fehler des Gegners zu hoffen. Fast kaum ein Team hat was anderes gemacht. Ich weiss nicht, ob das eine so gelungene Idee ist, weil man dann doch am Ende einige Vorteile aufgibt. Wenn es rein danach geht, wird vermutlich Frankreich das rennen machen, weil deren Offensive individuell einfach absurd gut ist.

    Was mir übrigens auch noch auffiel: „Körperlichkeit“ spielt keine wirkliche Rolle mehr mittlerweile. Es gibt eigentlich kein Team mehr, dass durch die Bank deutlich kleiner oder weniger robust wäre, zumindest nicht so, dass es eine Rolle spielen würde. Dazu haben die „großen Fußballnationen“ auch das nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Die Topleute sind meistens auch nur mit normalen Maßen und Gewicht, dass sich da also wie früher ein Spieler durchtankt mit Kraft und Masse sieht man eigentlich nicht mehr. Durchaus eine entiwcklung, die shcon länger so geht, aber mir jetzt doch noch mehr aufgefallen ist.

    1. Körperlichkeit, also Attribute wie Schnelligkeit, Antritt, Sprunghöhe oder Ausdauer haben durchaus noch Relevanz, oder meinst du eher Körpergröße und Gewicht? Da würde ich dir dann zustimmen.

  7. Also ich verfolge das Drumherum, die Analysen und Geschichten näher als die Spiele selbst. Wobei ich die letzten Tage schon etwas mehr gesehen habe, das hat mit dem Spanien-Spiel erst begonnen. Mit den Tiers gehe ich d’accord, wobei für mich ein Sieg der USA über NED schon noch ein Upset wäre (liegt vielleicht auch an meinem angestaubten Koordinatensystem). Upset-Alarm hat für mich JAP gg CRO, POR-SUI ist für mich 50/50 (Coin-Toss sagt man in den USA). Bei den anderen Partien sehe ich die Favoriten vorne, aber wie die Vergangenheit gezeigt hat – und was ich hoffe – evtl. gibt es dann doch die 1 Sensation.

  8. Bei Chris Kramer und Almuth Schult gehe ich absolut mit. Das sind super Experten. Ich mag auch das Gespann aus Kramer und Mertesacker. Auch Schweinsteiger hat sich ordentlich gesteigert im Vergleich zu früher. Didi Hamann kann ich leider überhaupt nichts abgewinnen. Der labert auch immer nur die Mentalitätsleier. Das hat keine Substanz. Ich denke immer, er ist verbittert, dass er keine Rolle im Trainergeschäft spielt und versucht sich mit lautstarken und kontroversen Kommentaren ins Rampenlicht zu bringen. Ich muss da leider auch Marcel Reif nennen. Auch wenn er immer sehr gute und nachdenkliche Worte zum allgemeinen Zeitgeschehen gibt, so bestehen seine Fußballanalysen leider auch nur aus Phrasen und, wie Hamann, diese olle ausgelutschte Mentalitätsleier. Spanien ist intelligent weitergekommen, während das Ausscheiden von Deutschland eine Blamage ist. Dabei konnte ich keine Unterschied in der Leistung ESP und D erkennen. Die Spanier hatten gegen Costa Rica Glück im Abschluss, die Deutschen hatten Pech im Abschluss.

  9. als Hollandfan seit den 80ern hab ich schon ein paar Sachen mitmachen müssen (und dürfen). Van Gaals Pragmatismus und gewisse Wandlungsfähigkeit über die Jahrzehnte ist sicher spannend, aber ich hoffe trotzdem, er wird etwas mutiger wie früher, einfach weil die kommenden Gegner es erfordern. Oder irre ich da? Nach eigenem Bekunden ist seine Truppe jetzt besser als 2014 (vielleicht ist die Qualität ausgeglichener als damals) und immerhin glaubte er, es sich leisten zu können, Gravenberch und Malen zu Hause zu lassen. /
    blöde Frage: Warum spielt bei Argentinien Dybala nicht?

    1. Der argentinische Trainer Scaloni meinte, dass Dybala aus taktischen Gründen nicht spiele. Kann ich nachvollziehen. Für die Außenposition im 4-3-3 fehlt etwas die Geradlinigkeit, gerade im Zusammenspiel mit Messi passt das nicht. Das Mittelfeld besetzt Argentinien ja eher durch raumgreifende Spielertypen, die Messis Rolle etwas ausbalancieren. Auch da würde Dybala nicht passen. Ich kann mir aber vorstellen, dass er im Viertelfinale eine Chance erhält, sollte Argentinien einen Rückstand drehen müssen.

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