Ein Samstag als Sinnbild der Bundesliga

In der BayArena wurde am gestrigen Samstag der Fußball der Zukunft ausgestellt. Die technische Qualität, das Tempo, die Risikobereitschaft: Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund lieferten sich ein Duell auf offensiv höchstem Niveau. Es war Fußball, wie er sein sollte: spannend, intensiv, technisch und taktisch hochwertig.

Man muss keine tiefentaktische Analyse anfertigen, um zu erklären, warum ausgerechnet dieses Spiel den „Fußball der Zukunft“ dargestellt hat. Es genügt ein Blick auf die Aufstellungen von Leverkusen und Dortmund: Erling Haland scheint auf seinem Weg zu Weltruhm kaum mehr zu stoppen, aber auch Spieler wie Jude Bellingham, Florian Wirtz, Moussa Diaby oder Paulinho werden dem Spiel ihren Stempel aufdrücken. Im Moment mögen sich die Medien der Welt auf Ronaldos Rückkehr zu Manchester United stürzen. In wenigen Jahren werden diese Schlagzeilen Haland gelten.

Wer heute wissen will, wie der Fußball morgen aussieht, muss die Bundesliga schauen. Hier zeigen die Superstars von morgen, wie der Fußball von morgen aussehen könnte. Der Einfluss der deutschen Liga ist unübersehbar, nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei den Trainern. Von den fünf unterschiedlichen Trainern, die in den vergangenen drei Jahren im Champions-League-Finale standen, haben vier eine Bundesliga-Vergangenheit. Bei den Spielern waren es immerhin 14 (Bayern-Spieler logischerweise nicht eingerechnet), inklusive drei der vier letzten Champions-League-Final-Torschützen.

Das ist kein Zufall. Die Bundesliga hat ihren Platz unter den großen fünf Ligen der Welt gefunden: als Ausbildungsliga, als Ort, an dem die großen Talente unserer Zeit den letzten Schliff erhalten, ehe sie für viel Geld zu den großen Klubs der Welt wechseln. Finanziell kann die Bundesliga nicht mithalten mit den Schwergewichten des europäischen Fußballs. Gerade die Premier League ist der Vermarktung meilenweit entrückt. Selbst der Letzte der Premier League erhält mehr TV-Gelder als der deutsche Branchenprimus Bayern München. Die Bundesliga kann weder die Ablösesummen noch die Gehälter aufbringen, welche Superstars heutzutage aufrufen. Stattdessen hat sich die Liga darauf spezialisiert, junge Spieler zu verpflichten und sie teuer weiter zu verkaufen. Dortmund und Leverkusen, aber auch Hoffenheim, Mönchengladbach oder sogar Brauseklub Leipzig finanzieren sich über Spielerverkäufe.

Die Bundesliga, die Liga des Spektakels

Die Bundesliga lockt junge Talente, und junge Talente lockern wiederum die taktischen Fesseln der Liga. Eine Mannschaft aus gestandenen Endzwanzigern verteidigt anders als eine Truppe junger Spielkünstler. Vielleicht etwas weniger risikobehaftet, weniger intensiv, dafür aber routinierter, gelassener. Kaum vorstellbar, dass eins der großen Premier-League-Teams nach einem Ausgleichstreffer derart blind nach vorne stürmt, wie Borussia Dortmund dies gegen Bayer Leverkusen tat. Überhaupt unvorstellbar, dass ein Premier-League-Trainer eine derart offensive Raute aufstellt, wie BVB-Coach Marco Rose das getan hat.

Dieser Offensivgeist hinterlässt Spuren in der deutschen Liga: In den vergangenen drei Spielzeiten fielen jeweils durchschnittlich über drei Tore pro Spiel. Das gab es zuletzt in den Achtzigern. Von den Top-5-Ligen Europas kann nur die italienische Serie A mit dem Torschnitt der Bundesliga mithalten, in Spanien, Frankreich und England fallen deutlich weniger Tore. Kulturpessimisten würden sagen, die Bundesligisten haben das Verteidigen verlernt. Oder man erkennt an: Die Absicherung ist vernachlässigbar, wenn vorne Haland und Reyna bzw. Wirtz und Paulinho ihr Unwesen treiben.

Das sorgt dafür, dass bestimmte Paarungen in der Bundesliga Spektakel fast schon garantieren. Das 4:3 zwischen Leverkusen und Dortmund war keine Anomalie. Seit der Saison 2018/19 fielen durchschnittlich 5,2 Tore, wenn Bayer auf den BVB traf. Auch die Partien von Dortmund gegen Leipzig (4 Tore pro Spiel) und Frankfurt (4,3) sind Torgaranten, genauso die Duelle zwischen Frankfurt und Leverkusen (4,1) oder Frankfurt und Gladbach (4,3). Macht man eine ähnliche Rechnung für die Top5-Klubs der Premier League auf, käme keine Partie über 3,3 Tore im Schnitt (United gegen Tottenham). Tore mögen keine Währung für guten, taktisch hochwertigen Fußball sein. Sie sind aber ein wesentlicher Faktor, warum neutrale Fans einschalten, wenn sie ein Spiel sehen möchten. Ein 4:3 macht in der Regel mehr Spaß als ein 1:0.

Ein Elefant namens Bayern München

Ein zweiter Faktor, der neutralen Fans nicht unwichtig sein dürfte, ist Spannung innerhalb der Liga. Ein Spiel gewinnt an Wert, wenn das Ergebnis Bedeutung vorweist. Ein 4:3 zwischen dem SC Freiburg und Mainz mag ein großartiges Spektakel sein, dürfte aber nie in der kollektiven Erinnerung haften bleiben, wie ein entscheidendes Spiel im Kampf um die Meisterschaft oder den Abstieg. Die Premier League lebt davon, dass – zumindest in der frühen Phase der Saison – Spiele zwischen Chelsea und United oder City und Tottenham immer auch Bedeutung haben für einen – wie auch immer gearteten – Meisterschaftskampf. Die Fans der großen Klubs können sich vor jeder Saison mal mehr, mal weniger berechtigte Hoffnungen auf einen Titel machen. Das Beispiel Leicester verleitet sogar Fans der übrigen Klubs zum Träumen.

Da wären wir beim Elefanten angelangt, der in der Diskussion um die Bundesliga immer zugegen ist: die Allmacht des FC Bayern München. Niemand spräche beim Duell Leverkusen gegen Dortmund von einer Vorentscheidung im Titelkampf. Das war dem Duell zwischen Bayern und RaBa Leipzig vorbehalten. Ein Duell, das ungleich weniger spektakulär oder spannend geriet als das Spitzenspiel am Nachmittag. Der FC Bayern besiegte die Leipziger erwartungsgemäß. Nach dem 1:4 braucht es Einiges an Fantasie, um zu erklären, warum Leipzig ein Titelkandidat sein könnte.

Man muss sich dies auf der Zunge zergehen lassen: Ich schreibe über das Duell Erster gegen Zweiter der Vorsaison. Selbst eine semistarke Leistung des Titelträgers genügt, um dem Vizemeister seine Grenzen aufzuzeigen. Grenzen, die der Titelträger durch seine Einkaufspolitik selbst wesentlich enger gesteckt hat: Im Sommer haben die Bayern Leipzigs Trainer, ihren Mittelfeldstrategen und deren besten Abwehrspieler verpflichtet. Manche Fans werfen den Bayern vor, den größten Konkurrenten der Liga bewusst kaputt gekauft zu haben. Als hätte Bayern nach neun Meisterschaften in Folge nötig, einen Klub zu schwächen, der vergangene Saison 13 Punkte weniger sammelte als sie. Leipzig war nie eine echte Konkurrenz. (Anders als der BVB vor einem Jahrzehnt.)

Die Diagnose fällt wesentlich düsterer aus: Die Bayern kaufen die besten Spieler von Leipzig, weil sie ein anderes Spielfeld beackern als die übrigen Bundesligisten. Zwei Triple-Siege in einem Jahrzehnt zementierten den Münchener Anspruch, ein Weltklasse-Verein zu sein, der mit den großen Klubs der Welt mithalten kann. Die Bayern müssen den Anspruch haben, nicht nur die Fußballer der Zukunft anzustellen, sondern auch die besten Spieler der Gegenwart. Nur so lassen sich die internationalen Ansprüche durchsetzen. Da wird ein Marcel Sabitzer, unverzichtbar für das Übergangsspiel der Leipziger, mal eben gekauft, um eine Alternative zu haben, falls Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder Thomas Müller verletzt oder müde oder einfach nur überspielt sind.

Dieses Machtgefälle untergräbt das Potential, das die Bundesliga zweifellos besitzt. Keine andere Liga hat so viele junge Talente und so viele Champions-League-Kandidaten, die bewusst offensiven Fußball spielen lassen. Man stellte sich nur einmal vor, das Spiel zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund hätte eine reale Bedeutung für das Titelrennen gehabt. Kein „Die Dortmunder bleiben den Bayern weiter auf den Fersen“, sondern „Die Dortmunder sammeln in einem großartigen Spiel drei Punkte gegen einen natürlichen Konkurrenten im Titelkampf“. Der ganze Wert, die ganze Bedeutung dieses Bundesliga-Spieltags wäre eine andere.

Das Titelbild stammt von Michi S auf Pixabay.

4 thoughts on “Ein Samstag als Sinnbild der Bundesliga

  1. Ist der BVB eigentlich nicht selbst schuld, dass er nicht mit dem FC Bayern mithalten kann?
    Der BVB hat sich eben die letzten Jahre (Jahrzehnt) als reiner Ausbildungsverein etabliert und die Transferpolitik ziehlt doch auch exakt darauf ab. BVB hat die letzten Jahre extrem gute Gewinne erzielt mit ihren Transfers, am Geld kanns also kaum liegen. Vielmehr ist doch die ganze BVB Politik Schuld an dem Disaster. Dort wird extrem auf Gewinne in der AG geachtet um die Investoren glücklich zu machen. Sobald ein Spieler ein hohen Marktwert hat wird er verkauft und es werden neue junge Talente eingekauft.
    Bei den Bayern ist es genau andersrum. Der sportliche Erfolg steht über allem und als Folge dessen entsteht automatisch auch ein wirtschaftlicher Erfolg.

    Und genau weil Dortmund eben keinen konstanten Kader hat schaffen sie es nicht einmal eine 9 oder 10 Punkteführung über eine Saisonhälfte zu retten, sondern verspielt 20+ Punkte. Siehe die Saisons vor Hansi Flick…

    1. Naja der FCB hat Einnahmen die ungefähr das 1,5fache vom BVB sind – und das ziemlich konstant über die letzten 10 Jahre. Und da auch Starspieler lieber zum finanziell ausgestatteten und prestigeträchtigerem Verein gehen, sehe ich nicht, dass der BVB so viel besser hätte darstehen können (Was nicht heißt, dass die keine Fehler machen – siehe Tuchel)

    2. Ja, genau der BvB will nur Profit machen. Herrje was ein Unsinn. Der BvB macht er weil er muss.
      Man verdient beispielsweise in der Auslandsvermarktung nur einen Bruchteil des FcB.
      Ohne die Spieler Verkäufe keine Mega Talente.

  2. Der BVB achtet nicht auf Gewinne, um Investoren glücklich zu machen. Er achtet auf Gewinne, um nicht noch mal in eine Situation zu geraten wie 2005, als es beinahe keinen BVB mehr gegeben hätte.

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