Die „Fußballblase“ wird so schnell nicht platzen

Wer die Sportteile der Zeitungen und Webseiten aufruft, bekommt das Gefühl: Für den Fußball schlägt die Uhr Fünf vor Zwölf. Bald, so der Tenor zahlreicher Fußballjournalisten, werde die Blase platzen. Ja, der Fußball habe im vergangenen Jahrzehnt einen beispiellosen Boom erlebt, besonders in Deutschland. Doch bald sei Schluss! Der Fußball habe längst die Grenzen des Zumutbaren überschritten.

Die Liste der Argumente gegen den modernen Fußball ist lang. Wie lässt es sich vermitteln, dass ein brasilianischer Außenstürmer so viel wert sein soll wie 12.437 Volkswagen des Typ Golf? Wie soll man die Bundesliga genießen, wenn doch praktisch schon vor Saisonstart feststeht, dass der FC Bayern Meister wird? Pierre-Emerick Aubameyang tanzt seinem Klub auf der Nase herum. Die Fifa ist längst zum Synonym für Korruption verkommen. Die Football Leaks deuten an, dass Korruption und Steuervermeidung im Fußball Gang und Gäbe sind. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wie kann man da weiter Lust am modernen Fußball verspüren?

Doch es gibt keine belastbare Zahl, die eine Krise belegt. Die Zahl der Stadionbesucher in Deutschlands ersten beiden Ligen stagniert auf hohem Niveau. Die Quote der Sportschau ist in der Tat leicht gefallen, allerdings exakt passend zur Steigerung, die Fußballübertragungen im Pay-TV vorweisen können. Selbst 2017, in einem Jahr ohne große Fußballturniere, waren zehn der zwanzig meist gesehenen TV-Sendungen Fußballspiele. Die gleiche Rangliste für das EM-Jahr 2016 weist ausschließlich Fußballspiele aus. Die zweithöchste Quote des Jahres 2017 (nach dem Kanzler-Duell) fuhr das Finale des Confed Cups ein – das Finale eines Turniers also, das selbst die profitgierige Fifa als obsolet betrachtet. Und auch wenn der DFB herbe Probleme hat, Tickets für unbedeutende Freundschaftsspiele an den Mann zu bringen: Spielt die deutsche Nationalmannschaft, schaltet Deutschland ein. Fast zehn Millionen Menschen sahen vergangenes Jahr das Freundschaftsspiel gegen England; ein Spiel, das sportlich bedeutungslos war und bei dem England eine C-Elf auf das Feld schickte.

International lassen sich tatsächlich erste Anzeichen finden, die auf ein fallendes Interesse am Fußball hindeuten. Der Premier League wird es wohl nicht gelingen, die TV-Rechte im heimischen Markt für denselben Preis zu verkaufen wie in der vergangenen Rechteperiode. Italien wiederum hat mit halbleeren Stadien zu kämpfen. Es ist daher nicht unrealistisch, dass der Fußballmarkt in den kommenden Jahren stagniert oder leicht fällt, nachdem er in den letzten zwei Jahrzehnten Zuwachsraten um bis zu 1000% verbuchen konnte.

Doch genügt dies schon, um vom „Platzen einer Blase“ zu sprechen? Werden plötzlich ein Drittel der Zuschauer zu Hause bleiben oder am Fernseher abschalten und damit die Umsätze von Fußballvereinen und übertragenden TV-Stationen einbrechen? Nichts deutet darauf hin. Selbst wenn das rasante wirtschaftliche Wachstum des Fußballs an Grenzen stößt, erreicht der Fußball immer noch Milliardenerlöse. Hinzu kommt, dass die Erlöse in Wachstumsmärkten wie China, den USA und Südostasien weiter ansteigen. Die Blase wird in den kommenden Jahren nicht platzen.

Dass der Fußball plötzlich seinen Nimbus als populärste Sportart einbüßt, ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil der Fußball kein Nachwuchsproblem hat. Der Grund, warum Sportarten nach und nach verschwinden, hängt häufig eng mit der Tatsache zusammen, dass der Nachwuchs ausbleibt. Leichtathletik und Tennis sind bekannte Beispiele in Deutschland, der Baseball erleidet ein solches Schicksal aktuell in den USA.

Doch Fußball ist und bleibt cool. Die Fußballklubs tun viel, um eine neue, jüngere Schicht Fans zu erreichen. Gerade im Internet, für die junge Generation so etwas wie eine zweite Heimat, genießt der Fußball eine Ausnahmestellung. Sieben der zehn meist gefolgten deutschen Instagram-Accounts gehören Fußballspielern. Auf den jungen Plattformen Snapchat und Twitter sieht das Bild ähnlich aus. Keiner von ihnen kommt dabei auch nur ansatzweise an Cristiano Ronaldo heran, der die zweitmeisten Instagram-Follower der Welt hat; mehr als Filmstars, Popsternchen und Politiker. Sportler sind die Rockstars des 21. Jahrhundert: schön, sportlich, cool.

Als ich jung war, wollten wir Kinder alle so sein wie Zinedine Zidane, Ronaldo oder Oliver Kahn. Heute faszinieren Neymar, Messi und Ronaldo die Kids. Damit gewinnen sie mehr junge Fans für den Fußball, als Vereine es könnten. Gleichzeitig zementieren sie das Image des Fußballs als ewig junger Sport, den keine Alterserscheinungen lähmen können. Social-Media-Aktivitäten sind für die meisten Fußballer und Klubs mittlerweile wichtiger als die klassische Pressearbeit. (Sehr zum Leidwesen klassischer Journalisten.)

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Cristiano Ronaldo mit dem Ballon d'Or von Anish Morarji, Lizenz: CC BY 2.0

Denn die Klubs wissen: Nur wenn wir die Jugend erreichen, erreichen wir auch neue Zuschauer (und damit neue Kunden.) Ein Grund, warum Sponsoren wie TV-Stationen Millionen in den Fußball pumpen, liegt in der Tatsache, dass er Menschen jeden Alters erreicht. Also auch junge Männer – eine Zielgruppe, die für immer weniger Medienmacher zu fassen ist, weil sie klassischen Medien wie TV, Radio und Zeitungen den Rücken zudreht. Ich kenne ein ganzes Dutzend Menschen, das seinen Fernseher ausschließlich zum Videospielen und zum Fußballschauen nutzt. Und solange dies so bleibt, wird Nike weiter Ronaldo sponsern und Sky weiter Millionen für die Bundesliga-Rechte zahlen.

Das entkräftet natürlich kaum die inhaltlichen Kritikpunkte, auf die Journalisten wie Fans zurecht hinweisen. Nur zu glauben, dass deshalb der Fußball gänzlich untergehen wird, ist Wunschdenken von Anhängern, die ihre eigene Enttäuschung auf die breite Masse projizieren. Es ist in der Tat wahr, dass der Fußball zum Teil seine klassische Klientel verprellt, um neue, jüngere Zuschauer anzusprechen. Es tritt ein Verdrängungsprozess in Kraft, bei dem junge und auch internationale Zuschauer zunehmend in den Fokus rücken.

Hinter der These nach dem Untergang des Fußballs steckt damit auch ein klassischer Konflikt, wie wir ihn aus der globalisierten Politik kennen: Drehte sich der Fußball vor zehn, zwanzig Jahren noch vollends um Fans aus der europäischen Mittelschicht, rücken nun neue Zielgruppen in den Fokus: junge Fans, internationale Zuschauer, Frauen. Der klassische Fan in der Kurve oder auf der Haupttribüne verliert an Einfluss und an Marktmacht. Der Fußball begeht hier einen ähnlichen Fehler wie die Politik, die lange Zeit solche Entwicklungen als „alternativlos“ dargestellt und verpasst hat, die Menschen mit ins Boot zu holen. Nüchtern betrachtet gilt aber für den Fußball: Auf jeden Fan, den der Fußball verliert, gewinnt er einen neuen hinzu.

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LCFC lift the Premier League Trophy; von Peter Woodentop;. Lizenz: CC BY-SA 2.0

So versteckt sich hinter der vagen Prophezeiung, der Fußball werde demnächst untergehen, häufig ein anderes Argument: „Der Fußball, so wie wir ihn schätzen, wird untergehen.“ Dafür entsteht gerade ein Fußball, der merklich anders ist. Junge Zuschauer nehmen den Fußball anders wahr, konsumieren ihn anders, haben andere Interessen. Traditionelle Wege, den Fußball zu konsumieren, treten in den Hintergrund. Junge Fans interessieren sich für andere Themen als der Ü30-Journalist, der das Spiel seit zwanzig Jahren begleitet. Geschichten über den Transfermarkt dominieren auch deshalb die Sportressorts der Webseiten, weil sie außerordentlich häufig geklickt werden. Videos besonders spektakulärer Tore oder Tricks werden millionenfach geteilt, die Sportschau bleibt dafür ausgeschaltet. Millionentransfers werden nicht mehr zwangsläufig verteufelt, sondern als normal angesehen – die jungen Fans kennen es nicht anders, und zugleich verfolgen sie sowieso eher Neymars Karriere als das Auf und Ab ihres lokalen Vereins. Das ist eine sehr andere Version des Fußballs, den viele alteingesessene Freunde des Spiels jahrzehntelang kennen und lieben gelernt haben.

Es geht mir nicht um die Frage, ob dieser „neue“ Fußball besser oder schlechter ist als der alte. Nur: Das Fundament des Fußballs ist zu tief, der Fußball zu stark verwurzelt in der Gesellschaft, der Fußball immer noch zu cool, als dass kurz- oder mittelfristig eine Blase platzen wird. Selbst die Masse an Skandalen und Skandälchen im vergangenen Jahrzehnt konnten den Fußball nicht merklich schwächen. Alte Fans mögen wegfallen, dafür wenden sich Neue dem Fußball zu. Das mag man gut finden, das mag man schlecht finden. Nur: Der Fußball, er wird auch in zehn, wohl sogar in zehn, zwanzig und vielleicht sogar dreißig Jahren die Sportteile dieses Landes dominieren.

Das Titelbild „Fernsehkamera von Sky während eines Fußball-Spiels“ stammt von Steindy, Lizenz: GNU Free Licensing.

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